Staatseigenes Unternehmen. Jede Unternehmensstruktur, die nach innerstaatlichem Recht als Unternehmen gilt und in der der Staat eine Eigentümer- oder Kontrollfunktion wahrnimmt, sollte als staatseigenes Unternehmen betrachtet werden. Dazu zählen Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Kommanditgesellschaften auf Aktien. Darüber hinaus sollten Institutionen des öffentlichen Rechts, deren Rechtspersönlichkeit durch spezifische Gesetze geschaffen wird, als staatseigene Unternehmen betrachtet werden, wenn ihre Zielsetzungen und Aktivitäten bzw. ein Großteil ihrer Aktivitäten wirtschaftlicher Natur sind.
Eigentum bzw. Kontrolle. Die Leitsätze gelten für Unternehmen, die sich in staatlichem Eigentum befinden und/oder unter staatlicher Kontrolle stehen. Eigentum umfasst direkte Mehrheitsbeteiligung und im Fall von Kontrollausübung auch andere Arten von direkter und indirekter Beteiligung. Kontrolle kann ausgeübt werden, wenn ein Eigentumsträger bzw. mehrere abgestimmt handelnde Eigentumsträger
Ein vergleichbarer Grad an Kontrolle kann durch verschiedene rechtliche oder faktische Gegebenheiten entstehen, die einem Eigentumsträger bestimmenden Einfluss verleihen. Hierunter fallen gesetzliche Bestimmungen, Unternehmenssatzungen oder privat- bzw. öffentlich-rechtliche Vereinbarungen, die eine fortwährende staatliche Kontrolle über ein Unternehmen sicherstellen, darunter Vetorechte in Angelegenheiten, die dem Staat bestimmenden Einfluss verschaffen. Dies kann der Fall sein, wenn der Staat befugt ist, die Mehrzahl der Mitglieder des Boards oder eines äquivalenten Leitungsorgans oder den*die Vorsitzende*n der Geschäftsführung zu ernennen, bzw. die wesentlichen Entscheidungsprozesse des Unternehmens auf andere Weise kontrollieren kann. Kontrolle kann auch durch Vorzugs- und Langzeitnutzung des Eigentums oder des Rechts, die Gesamtheit oder erhebliche Teile der Vermögensgüter des Unternehmens zu nutzen, sowie in Ausnahmefällen auch durch Rechte oder Verträge ausgeübt werden, die einen bestimmenden Einfluss auf kommerzielle oder sonstige Entscheidungen des Unternehmens mit sich bringen.
Ob der Staat einen solchen bestimmenden Einfluss ausübt, muss u. U. auf Einzelfallbasis unter Berücksichtigung der jeweiligen spezifischen Gegebenheiten geklärt werden. Ob beispielsweise Sonderrechte, Sonderanteile oder besondere rechtliche Bestimmungen (in manchen Staaten als „goldene Aktie“ bezeichnet) mit Kontrolle gleichzusetzen sind, hängt davon ab, wie viel Macht sie dem Staat verleihen. Darüber hinaus können staatliche Minderheitsbeteiligungen unter den Geltungsbereich der Leitsätze fallen, wenn zusätzliche Faktoren zeigen, dass das Unternehmen unter staatlicher Kontrolle steht, wie beispielsweise, wenn die Unternehmens- oder Beteiligungsstrukturen dem Staat faktisch einen kontrollierenden Einfluss verschaffen (z. B. durch Vereinbarungen zwischen Anteilseignern) oder in Fällen, in denen über eine Kombination aus direkten und indirekten Kapitalbeteiligungen Kontrolle ausgeübt wird. Monopolrechte, die der Staat einem Unternehmen erteilt, können in manchen Fällen eine De-facto-Kontrolle durch den Staat zur Folge haben. Im Gegensatz dazu wird staatlicher Einfluss auf Unternehmensentscheidungen, der über echte Regulierung ausgeübt wird, normalerweise nicht als Kontrolle betrachtet.
Unternehmen, die nicht unter die oben genannten Kriterien fallen und an denen der Staat seine Stimmrechte abtritt, indem sie indirekt über Vermögensverwalter oder institutionelle Anleger, wie z. B. Pensionsfonds, gehalten werden, gelten ebenfalls nicht als staatseigene Unternehmen. Für die Zwecke dieser Leitsätze gelten Unternehmen, die sich infolge einer Insolvenz, Liquidation, Zwangsverwaltung oder Insolvenzverwaltung für einen begrenzten und klar definierten Zeitraum im Eigentum oder unter Kontrolle eines Staates befinden, in der Regel nicht als staatseigene Unternehmen. Die unterschiedlichen Ausprägungen staatlicher Kontrolle sorgen auch für unterschiedliche Governanceprobleme. Sofern nicht anders angegeben, wird in den Leitsätzen der Begriff „staatseigen“ für „in Staatseigentum“ und „unter staatlicher Kontrolle“ verwendet und „staatseigenes Unternehmen“ bezeichnet ein staatseigenes oder staatlich kontrolliertes Unternehmen.
Konzernstrukturen. Die Beteiligung an oder Kontrolle von Unternehmen durch den Staat kann auch über Konzernstrukturen, z. B. durch staatseigene Muttergesellschaften oder ähnliche staatseigene Rechtsträger oder Holdinggesellschaften, erfolgen. Die Kontrollausübung in einem Konzern sollte auf jeder Ebene ermittelt werden und erfordert u. U. eine genaue Prüfung. In Konzernstrukturen sind die Rechte der staatseigenen Muttergesellschaft mit den Rechten sonstiger (privater oder öffentlicher) Muttergesellschaften gegenüber ihren Tochtergesellschaften vergleichbar. In diesen Fällen beziehen sich einige Bestimmungen der Leitsätze für „Eigentumsträger“ auf staatseigene Muttergesellschaften und nicht direkt auf den Staat. Dies ist jeweils in den Anmerkungen angegeben.
Wirtschaftliche Tätigkeiten. Eine wirtschaftliche Tätigkeit ist eine Aktivität, die die Bereitstellung bzw. Erbringung von Waren oder Dienstleistungen an einem bestimmten Markt beinhaltet und die – zumindest im Prinzip – von einem privaten Anbieter zum Zweck der Gewinnerzielung ausgeübt werden könnte. Die Marktstruktur (d. h. Wettbewerbsmarkt, Oligopol oder Monopol) ist nicht ausschlaggebend dafür, ob es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt. Vom Staat erhobene obligatorische Nutzungsgebühren sollten im Normalfall nicht als Verkauf von Waren und Dienstleistungen am Markt betrachtet werden. Wirtschaftliche Tätigkeiten finden überwiegend an Märkten statt, an denen Wettbewerb mit anderen Unternehmen besteht bzw. auf der Grundlage existierender Gesetze und Vorschriften bestehen könnte.
Kommerzielle Erwägungen. Kommerzielle Erwägungen betreffen Preise, Qualität, Verfügbarkeit, Vermarktbarkeit, Transport sowie andere Kauf- und Verkaufsbedingungen oder sonstige Faktoren, die normalerweise bei den kommerziellen Entscheidungen von privaten oder anderweitig unter Marktbedingungen operierenden Unternehmen in dem betreffenden Wirtschaftszweig oder Bereich berücksichtigt werden.
Öffentliche Politikziele. Öffentliche Politikziele sind Ziele, die dem öffentlichen Interesse in dem betreffenden Staat dienen. Sie können beispielsweise die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen sowie anderer besonderer Pflichten umfassen, die im öffentlichen Interesse wahrgenommen werden und die finanziellen Erfolgsziele der staatseigenen Unternehmen ergänzen können. Vielfach könnten öffentliche Politikziele andernfalls über staatliche Stellen erfüllt werden, wurden jedoch aus Effizienzerwägungen oder anderen Gründen einem staatseigenen Unternehmen übertragen.
Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen. Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen sind Verpflichtungen, die Erbringern öffentlicher Dienstleistungen auferlegt werden, um den vorgesehenen Nutzer*innen angemessenen Zugang zu wesentlichen wirtschaftlichen oder sozialen Dienstleistungen zu garantieren, die unter kommerziellen Erwägungen vom Markt nicht oder nicht in hinreichendem Maße angeboten würden, um die gemeinwirtschaftliche Verpflichtung zu erfüllen. Die Ausgestaltung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen und die Mechanismen für ihre Umsetzung weichen in den verschiedenen Staaten u. U. stark voneinander ab. Sie können aber beispielsweise Anforderungen an die Erbringer öffentlicher Dienstleistungen zur Bereitstellung von Universaldiensten und/oder zur Erschwinglichkeit der Dienstleistungen umfassen.
Leitungsorgane staatseigener Unternehmen. Aufbau und Funktionsweise von Boards unterscheiden sich sowohl von Land zu Land als auch innerhalb einzelner Länder. Einige Staaten haben dualistische Leitungssysteme, in denen die (nicht geschäftsführende) Aufsichtsfunktion und die Geschäftsführung von unterschiedlichen Organen wahrgenommen werden. Diese Systeme haben in der Regel einen „Aufsichtsrat“ aus nicht geschäftsführenden Mitgliedern, zu denen häufig auch Arbeitnehmervertreter*innen zählen, und einen „Vorstand“, dem ausschließlich geschäftsführende Mitglieder angehören. Andere Länder haben ein monistisches Board-System, bei dem sich das Board sowohl aus Vertreter*innen der Geschäftsführung als auch aus nicht geschäftsführenden Mitgliedern zusammensetzt. Die Leitsätze treten nicht für eine bestimmte Board-Struktur ein, da sich die ergebnisorientierten Empfehlungen der Leitsätze mit beiden Systemen erreichen lassen.
Die Leitsätze sind allgemein anwendbar, unabhängig davon, wie die mit der Leitung des Unternehmens und der Überwachung der Geschäftsführung betrauten Organe aufgebaut sind. Bei dem für einige Staaten typischen dualistischen Modell bezieht sich der in den Leitsätzen verwendete Begriff „Board“ auf den „Aufsichtsrat“ und der Begriff „(Mitglieder der) Geschäftsführung“ auf den „Vorstand“.
Viele Boards haben auch „unabhängige“ Mitglieder, doch im Hinblick auf den Grad der Unabhängigkeit und deren Definition bestehen aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen und Corporate-Governance-Kodizes der einzelnen Länder erhebliche Unterschiede. Allgemein versteht man unter unabhängigen Board-Mitgliedern Personen, die unbelastet sind von wesentlichen Interessen (z. B. direkte oder indirekte Vergütungen von dem Unternehmen oder der Unternehmensgruppe außer der Vergütung für ihr Board-Mandat) oder Beziehungen zu dem betreffenden Unternehmen (d. h. nicht geschäftsführende Board-Mitglieder), zum Staat (d. h. weder Regierungsbeamte*innen noch öffentlich Beschäftigte noch gewählte Amtsträger*innen), zur Geschäftsführung und anderen maßgeblichen Anteilseignern sowie zu Einrichtungen und Interessengruppen mit einer direkten Beteiligung an den Tätigkeiten des staatseigenen Unternehmens, die einen Interessenkonflikt verursachen, der ihre objektive Urteilsfähigkeit beeinträchtigen könnte. Unabhängige Board-Mitglieder sollten nach dem Leistungsprinzip ausgewählt werden, über eine unabhängige Denkweise verfügen und die erforderlichen Kompetenzen besitzen, um ihre Pflichten als Board-Mitglied zu erfüllen.
In diesen Leitsätzen wird der Begriff „Vorsitzende*r“ für Board-Vorsitzende in monistischen Systemen und Aufsichtsratsvorsitzende in dualistischen Systemen verwendet. Der*die Vorsitzende der Geschäftsführung (Chief Executive Officer – CEO) ist in der Regel die hochrangigste Führungskraft des Unternehmens (z. B. Vorstandsvorsitzende*r in einem dualistischen Leitungssystem) und als solche für die Führung der Geschäfte und die Umsetzung der Unternehmensstrategie verantwortlich. Der*die CEO sollte in monistischen Leitungssystemen gegenüber dem Board und in dualistischen Systemen gegenüber dem Aufsichtsrat rechenschaftspflichtig sein.
Börsennotierte staatseigene Unternehmen. Einige Teilbereiche der Leitsätze sind speziell auf „börsennotierte staatseigene Unternehmen“ ausgerichtet. „Börsennotierte staatseigene Unternehmen“ sind staatseigene Unternehmen, deren Aktien an einer Börse gehandelt werden. In einigen Staaten können auch staatseigene Unternehmen, die Vorzugsaktien, börsengehandelte Schuldverschreibungen und/oder ähnliche Finanzinstrumente emittiert haben, als börsennotierte staatseigene Unternehmen gelten. Die Anwendung der Leitsätze auf börsennotierte Unternehmen sollte auch ihre Vereinbarkeit mit den G20/OECD-Grundsätzen der Corporate Governance und den geltenden Corporate-Governance-Rahmen für börsennotierte Unternehmen gewährleisten.
Eigentumsträger. Der Eigentumsträger ist der Teil des Staatsapparats, der für die Eigentümerfunktion bzw. die Ausübung der Eigentumsrechte an oder die Kontrolle von staatseigenen Unternehmen verantwortlich ist. „Eigentumsträger“ kann sich entweder auf ein einzelnes staatliches Eigentumsorgan, eine Koordinierungsstelle, ein Ministerium oder eine andere öffentliche Stelle beziehen, bei dem bzw. der die Verantwortung für die Ausübung der staatlichen Eigentumsfunktion liegt. Die Staaten können ihre Eigentums- oder Kontrollfunktion auch über Konzernstrukturen, wie z. B. staatliche Holdinggesellschaften, ausüben.
In den Leitsätzen und den zugehörigen Anmerkungen wird durchgehend der Ausdruck „Eigentumsträger“ verwendet, wodurch jedoch die Wahl des Eigentumsmodells nicht berührt wird. Sofern nicht anders angegeben, dürfte es keine Auswirkungen auf die Umsetzung der übrigen Empfehlungen haben, wenn Teilnehmerstaaten der Leitsätze keine staatliche Institution oder Staatsholding damit beauftragt haben, eine maßgebliche Eigentümerrolle auszuüben.
Stakeholder. Der Begriff „Stakeholder“ wird im Allgemeinen für Interessenträger verwendet, die keine Anteilseigner des betreffenden Unternehmens sind. Dabei kann es sich u. a. um Mitarbeitende, Gläubiger, Kunden, Lieferanten und betroffene Gemeinschaften handeln.